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Tranchiert (2): Die Krux mit der Herkunft

Heile Welt

Sätze mit ich anfangen, mach ich ungern. Über mich erzählen eigentlich auch. Dennoch: Ich stamme aus einem Metzgerhaushalt. Urgroßvater Metzgermeister, Großvater Metzgermeister, Vater Metzgermeister, Bruder Metzgermeister, einige Onkel Metzgermeister. Eine Welt ohne dieses Handwerk kann ich nicht denken. Bilder meiner Kindheit: Ein großes Haus, im Erdgeschoss die Fleischerei. In der Küche kocht die Oma für alle Mitarbeiter. Über den Hof das Schlachthaus, die Wursteküche, ein Garten mit Mauer. Auf der haben wir Kinder gesessen, wenn die Tiere vom Viehwagen abgeladen und in den Stall geführt wurden. Wir haben beim Schlachten zugeschaut. Manchmal durften wir mitfahren zu den Bauern, zusehen, wie Geschäfte per Handschlag besiegelt wurden. Soweit die heile Welt.

Eine Mär

In den Ställen stank es. Im Sommer war die Hitze unerträglich. Meist waren mehr Fliegen als Schweine im Stall. Kam man den Schweinen näher, erhoben sich schwarze Fliegenwolken. Schweine auf Stroh hab ich nie gesehen. Oder man konnte das Stroh vor lauter Kot nicht erkennen. Der Glaube, früher ging es den Tieren besser, ist eine Mär. Die moderne Tierhaltung mit automatischer Fütterung und klimatisierten Ställen schadet keinem Tier. Das tut nur der Mensch. Der Mensch, für den ein Tier kein Tier mehr ist, sondern Produktionsgut. Dort, wo Respekt und Wertschätzung ihre Grenzen in der Rentabilität finden. Und diese Rentabilitätsgrenze ist schnell erreicht. Zu schnell. Wenn wir ein Stück Fleisch essen, erkennen wir nicht, wo und wie das Tier gelebt hat. Einem Aufkleber zu vertrauen, der auf einer Verpackung klebt, ist grenzenlos naiv und fast immer eine Lüge. Die Regionalität, die in jüngster Zeit gerne als Qualitätssiegel herhalten muss, ist alles, aber ganz bestimmt kein Garant für Qualität. Sie suggeriert Wirtschaftskreisläufe mit kurzen Transportwegen und damit Tierwohl. Ein sehr strapazierter Begriff.

Der Schweinetopf

Im westfälischen Rheda-Wiedenbrück steht einer der größten Schlachthöfe Europas. 18.000 landwirtschaftliche Betriebe befinden sich um Umkreis von 120 Kilometern um diesen Schlachthof. Man nennt diese Gegend Schweinetopf Europas. Hier leben 85 Prozent der deutschen Schweine. Hier leben mehr Schweine als Menschen. Der Weg zum Schlachthof ist kurz. Allein: Wenn die großen Viehtransporter in morgendlicher Dunkelheit anfangen, die Schweine bei den Bauern einzusammeln, hier zwölf, dort zwanzig, und damit den ganzen Tag beschäftigt ist, dann ist das erste Tier, bevor es am Schlachthof ankommt, stundenlang auf dem Viehtransporter. Regionalität ja, Tierwohl wohl kaum. Besonders in den Wintermonaten werden Tonnen von Spareribs, des Barbecuers liebstes Gut, in die USA verschifft. In Deutschland ist der Markt dafür noch im Wachstum. Ganzjähriges Grillen wird zwar viel propagiert, aber nur selten gemacht. Viel häufiger macht man sich was vor. Die, zum Beispiel, die laut rufen: Ich kaufe mein Fleisch nur beim MdV (Metzger des Vertrauens). Es ist wunderbar, wenn man so einen Metzger hat. Das Vertrauen sollte man dennoch zuweilen auf den Prüfstand stellen. Besonders beim Rippchen und Nackensteak kaufen in den Sommermonaten. Massenware in jeder Metzgerei. Die Anzahl der Rippchen und Nackensteaks an einem Schwein ist aber begrenzt. Was passiert mit dem Rest von genau diesen Schweinen? Richtig, die verschifft Tönnies nach China. Dort liebt man der deutschen Schweine Pfötchen und Schwänzchen und Innereien.

Vertrauen ist gut

Fleischkauf ist Vertrauenssache, so der Slogan mit dem das bundesdeutsche Fleischerhandwerk in den 70er und 80er Jahren Gold scheffelte. Meint: Verbraucher, Du kannst nichts wissen über das Fleisch, wenn ich es dir nicht sage, aber mir kannst du vertrauen. Setzt voraus, dass der Metzger weiß, woher sein Fleisch stammt. Setzt voraus, dass er nicht irgendeinem Qualitätsfleisch-Lieferanten mit Güte- und Tierwohllabel vertraut. Setzt voraus, dass er nicht auf die schwarzen Schafe in der Branche hereinfällt. Der jüngste, von der Presse weitgehend ignorierte Skandal um einen Schweinemastbetrieb in Merklingen, ist nur ein Fall, der belegt, dass Kontrolle heutzutage besser ist als Vertrauen. Wie aber soll ein Handwerksmetzger Handelswege kontrollieren, die weit außerhalb seiner Reichweite liegen? Was dem Verbraucher erzählen, wenn das die Rückverfolgbarkeit darlegende Dokument drei Kilometer lang ist? Er könnte dir genau sagen, wo das Tier geboren wurde, bei welchen Bauern es aufgewachsen ist (fast nie ist das ein und derselbe Betrieb), wo das Tier geschlachtet wurde, wo es zerlegt wurde (wenn er es nicht selbst macht). Aber glaub mir: Das willst du alles nicht wissen. Begnügt dich mit dem Herkunftsnachweis, der hinter jeder Fleischtheke angebracht sein muss und der dir genau diese Fragen mit vier großen Buchstaben beantwortet: DDDD. Dann weißt du Bescheid. D steht übrigens für Deutschland. Etwas, was selbst Fastfood-Giganten sicherstellen können. Was, wir ahnen es, über Fleischqualität und Tierwohl nichts sagt. Irisches Rindfleisch ist übrigens das beste, was ich in der jüngsten Zeit gegessen habe. Es ist eine Krux mit der Herkunft. Wir können es nicht wissen und der Metzger oft auch nicht. Die Metzger, die tatsächlich noch selbst zum Bauern fahren, um Tiere einzukaufen, die noch selbst schlachten, selbst zerlegen und veredeln (von 100 Prozent will ich gar nicht reden), die muss man suchen. Die gute Nachricht bei dem ganzen Desaster: Es gibt sie. Aber, und damit mache ich soeben zugetretene Türen wieder auf: Alles andere ist nicht zwangsläufig schlecht. Dazu bald mehr an dieser Stelle.

Was bleibt

Die Bilder meiner Kindheit sind heute verblasst, dennoch leiten sie mich. Mein Vater hält seit vier Jahren seine eigenen Rinder auf der Weide. Die ersten zwei Kälber sind in diesem Jahr geboren. Nach mehr als 50 Jahren Fleischermeister: ein Hobby. Bleibt wachsam. Eure Sandra Schröder

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