Ein Leben für das Handwerk und ein Buch über Rindfleisch
Ein Buch über Rindfleisch. Über verschiedene Rinderrassen. Über Zuschnitte. Über besondere Teilstücke. Über Zerlegung. Über Respekt und Wertschätzung. Über das Fleischerhandwerk. Ein Fachbuch also. Ein sehr spezielles Fachbuch noch dazu. Und doch für jeden Fleischesser ein Gewinn.
Als neue Metzgerbibel wird es in der Branche gefeiert. Als lang ersehntes Standardwerk. Endlich räumt einer auf mit diesen wirr durch die Theken schwirrenden Namen von Teilstücken, von neuen Cuts, die niemand kennt. Wäre ich branchenfremd, würde ich mir wahrscheinlich einige Fragen stellen: Wieso gibt es eigentlich neue Cuts? Und wieso kennen Metzgermeister die nicht? Und wieso kennt Christoph Grabowski die alle? Und was hat das alles jetzt mit Barbecue zu tun?
Eine Herzensfrage
Vor einigen Jahren bekam der selbständige Fleischermeister Christoph Grabowski das Angebot vom Niggemann Food Frischemarkt, die Leitung der Fleischabteilung dort zu übernehmen. So interessant das Angebot auch war, für den selbständigen Fleischermeister hieß das: das eigene Geschäft schließen. Kein leichter Weg für jemanden, dessen Herz so sehr für das Fleischerhandwerk schlägt, wie kaum ein zweites. Und die wichtigste Frage war die, ob dieses Herz bei Niggemann, wo der Kontakt zu den Endkunden nicht mehr gegeben war, wo die neue Aufgabe überwiegend Großhandel hieß, ja, ob dieses Herz für das Handwerk dort genauso weiterschlagen könne wie bisher.
Die Antwort kennen wir heute, sieben Jahre später. Die Antwort steht nicht zuletzt in diesem Buch „Neue Cuts vom Rind“. Es ist das Buch eines Handwerkers für das Handwerk. Sieben Jahre Leiter der Fleischabteilung bei Niggemann Food und sieben Jahre im ständigen Einsatz für das Fleischerhandwerk. Sein Einsatz zeigt sich in zahlreichen Workshops, Zerlegeseminaren, als Dozent bei der Fleischsommelierausbildung in Augsburg und nicht zuletzt in zahlreichen Gesprächsrunden, in denen er immer wieder als Fleischexperte auftritt. Aber nicht nur außerhalb seines Jobs setzt er sich für das Handwerk ein, auch bei Niggemann gibt es inzwischen eine Fleischauswahl, die es vor ihm so nicht gegeben hat.
Vom Verräter zum Vorreiter
Christoph Grabowski hat möglich gemacht, was viele Kollegen und vielleicht nicht einmal er selbst für möglich hielten. Für die Kollegen war er ein „Verräter“. Sitzt im gemachten Nest mit festem Gehalt und geregelten Arbeitszeiten und will von dort aus den selbständigen Metzgern erzählen, was sie tun müssen. Wenn über ihn gelacht wurde, dann war das noch gnädig. Metzger sind dafür bekannt, dass sie gerne härtere Geschütze auffahren. Dieses Buch, seine heutige Bekanntheit, die Wertschätzung, die man ihm heute entgegenbringt, dass viele ihn heute einen Vorreiter nennen, könnte ihm Genugtuung sein. Doch würde ich ihn jetzt fragen, ob er das so empfindet, dann wüsste ich genau, dass er sagen würde, dass ihm nicht zuletzt auch seine zahlreichen Kritiker dorthin gebracht haben, wo er heute ist, und er ihnen dafür dankbar ist. Ja, so ist er wirklich.
Von Wertschätzung und Respekt
Die Botschaft des Buches „Neue Cuts vom Rind“ ist betitelt mit Wertschätzung, Respekt und Demut. Und das ist es, was Christoph seit Kindheitstagen beim Umgang mit Tieren und Lebensmitteln gelernt hat. Mit Menschen sowieso. Verantwortlicher Fleischgenuss fängt schon bei der Aufzucht der Tiere an. Respekt gegenüber den Landwirten gehört unbedingt dazu. Ihnen zu ermöglichen, auch Rinderrassen zu züchten, die nicht ins derzeitige Rentabilitätskonzept passen, ist ein Anfang. Und er setzt sich dafür ein, dass stets das ganze Tier verwertet wird. Wer ihm auf seiner Facebook-Seite Leidenschaft Fleisch oder seinem persönlichen Profil folgt, kann erleben, was so alles Außergewöhnliches auf seinem Grill oder in seiner Pfanne landet. Er war schon immer mehr Praktiker denn Theoretiker.
Vom Fleischerhandwerk zum Wursthandwerk und wieder zurück
Als er in jungen Jahren die Ausbildung zum Fleischer machte, hat ihm sein Lehrmeister genau das beigebracht: Alles an dem Tier ist von Wert, man muss nur genau hinschauen und diesen Wert erkennen. Die Kunst des Zerlegens hat mit offenen Augen zu geschehen. Jedes Tier ist anders und so ist es auch zu behandeln. Teilstücke, die heute wieder „in Mode“ sind, gab es auch damals schon, zumindest einige. Doch vieles von dem früheren Wissen geriet in Vergessenheit, beziehungsweise in den Kutter. Das Fleischerhandwerk in Deutschland wurde in vergangenen Jahrzehnten ein Wursthandwerk. Ein Blick in die Theken offenbarte die Stellung des Fleischverkaufes in Deutschland. Einem Meter Fleischtheke standen mehrere Meter Wurst-, Salat- und Käsetheke gegenüber, umringt von Regalen mit Dosenwurst und Mittagstischkonserven. Wenn Fleisch verkauft wurde, dann die Edelteile, wie das Rostbeef oder das Filet. Deutschland war und ist kein Fleischland, sondern von der Milchwirtschaft dominiert. Seit einigen Jahren sind Veränderungen spürbar, und Christoph Grabowski ist einer derjenigen, der diese Veränderungen mit geprägt und vorangetrieben hat. Und damit sind wir in der Barbecue-Szene, denn hier sind die anderen, die nicht weniger Motor der Veränderungen waren und sind.
Von Bärten und Barbecue
Beim Barbecue werden Fleischstücke möglichst lange, möglichst schonend, das heißt, bei niedrigen Temperaturen gegart. Bekannt sind die Bilder aus dem USA mit bärtigen Männern, die stolz vor ihren Smokern posieren. In Deutschland sind diese bärtigen Männer noch rar, auch wenn sie in der BBQ-Szene immer öfter zu sehen sind, doch diese ganz besondere Art und Weise Fleisch zu garen, die wird in Deutschland immer populärer. Aber es braucht besonderes Fleisch für dieses Barbecue. Die Rinderbrust eines typisch deutschen mit 18 Monaten geschlachteten Jungbullen in ein saftiges und geschmackvolles Brisket zu verwandeln, ist nicht möglich. Also wird das Fleisch aus dem Ausland geordert. Es gibt schon früh einige Online-Fleischhändler, die das Potenzial in dieser Szene erkannt haben und entsprechende Fleischqualitäten und US-Zuschnitte liefern können.
Vom Lernenden zum Lehrer
Christoph Grabowski ist in der BBQ-Szene mindestens so bekannt wie der Kugelgrill. Bei allen großen und kleinen Veranstaltungen ist er anzutreffen. Und er trifft dort schon früh auf Menschen, die erschreckenderweise so viel mehr Fachwissen von Fleisch haben als so manch deutscher Metzger. Hier wird er verstanden. Und hier kann er lernen. Er weiß um seine Mission. Die BBQ-Szene in Deutschland wächst unaufhörlich und mit ihr die ideale Kundschaft für Metzgereien. Auf seinen Auslandsreisen lernt der Fleischermeister wie in anderen Ländern zerlegt wird, welche Schnitte hier von Bedeutung sind, welche Rassen vornehmlich gezüchtet werden und wie man aus Suppenfleisch Steakfleisch macht. Jetzt gilt es nur noch, dieses Wissen zu den deutschen Metzgern zu bringen. Endlich wieder Fleisch verkaufen. So zieht er seit Jahren schon durch die Lande und vermittelt sein Wissen über Rassen, über Zuschnitte, über Wertigkeit und Respekt in seinen Seminaren. An der Fleischerschule in Augsburg wird seit drei Jahren die Fleischsommelier-Ausbildung angeboten. Keine Frage, wer seit Anbeginn dabei ist.
Christoph Grabowski Wissen über Rindfleisch, über verschiedene Rinderrassen, über mögliche Zuschnitte, über Wertigkeit und Respekt gibt es nun in Buchform für jedermann. Es ist wahrlich kein Buch allein für das Metzgerhandwerk, auch wenn es dort als neues Standardwerk gefeiert wird. Es ist ein Buch für wahre Fleischfreunde, für Menschen, denen bewusster Fleischgenuss wichtig ist.
Der Fotograf und das Handwerk
Der Fotograf Tobias Oehlke hat die Bilder des Buches erstellt. Dabei ist es ihm gelungen, rohem Fleisch eine ganz außergewöhnliche Ästethik zu verleihen. Wer an arbeitende Metzger denkt, hat üblicherweise keine ästethischen Bilder vor Augen. Ein Problem, mit dem das Metzgerhandwerk seit Jahren zu kämpfen hat: Blutige Schürze, Hackebeil und auch noch Spaß beim Schlachten – der Metzger und sein Negativimage. Tobias Oehlke macht Schluss damit.
Es sind die Bilder eines arbeitenden Handwerkers, Bilder eines wertvollen Lebensmittels, Bilder, die die gesamte Botschaft von Respekt und Wertschätzung eines Christoph Grabowskis aufs Vortrefflichste transportieren. Der Hintergrund eines jeden Bildes schwarz, im Spotlight das rohe Fleisch, immer dabei die Hand des Metzgers. Zuweilen wirken die Fleischstücke wie Skulpturen, die durch die arbeitende Hand geschaffen und veredelt werden. Ruhe und Konzentriertheit lassen die Bilder strahlen, nehmen ihr jeden Schrecken und jedes Schaudern, das Menschen beim Betrachten von rohen Fleisch empfinden können.
Tobias Oehlke sagt von sich selbst, dass er ein lustiger Typ ist. Beim Fotografieren glaubt er an den magischen Moment, den es festzuhalten gilt. Doch Fotografie bedeutet für ihn noch mehr. Nicht allein das Festhalten von außergewöhnlichen Momenten, sondern das Schaffen ebendieser, ist für ihn Sinn und Zweck seiner Arbeit. Was für das bloße Auge zu flüchtig, hält er mit seiner Kamera fest. So schafft er es, eine Wirklichkeit zu kreieren, die dem Menschen sonst verborgen bliebe.
Mit seinen Fotos in dem Buch „Neue Cuts vom Rind“ gibt Tobias Oehlke dem Fleisch seine Wertigkeit wieder. Er rückt es in das Licht, aus dem niemand es je wieder entfernen sollte, der Fleisch mit gutem Gewissen genießen will.
Neues Fleisch für ein neues Handwerk
Mit Christoph Grabowski und Tobias Oehlke haben in diesem Buch zwei Menschen zusammen gefunden, die wissen, was es heißt, etwas mit leidenschaftlicher Hingabe zu tun. Dieses Buch ist nichts anderes, als der Entwurf eines neuen Fleischerhandwerkes, das vielerorts schon gelebt, mancherorts noch belächelt, aber der einzige Weg zum Überleben sein wird. Das Betrachten dieses Buches hat mit offenen Augen zu geschehen.
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Christoph Grabowski
Neue Cuts vom Rind
Deutscher Fachverlag GmbH
ISBN: 978-3-86641-326-9
280 Seiten mit über 500 Farbfotos
Fotos: Tobias Oehlke
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